„Wir lassen uns nicht unterkriegen“
Ein Interview zum Thema Demenz
Karin Čok ist seit etwa zwei Jahren an Demenz erkrankt. Ihr Mann Vojnimir Čok erzählt von seinen Erfahrungen im Umgang mit seiner Frau.
Herr Čok, wie hat sich Ihr Leben mit der Krankheit Ihrer Frau verändert?
Ich musste über die Zeit mehr Aufgaben übernehmen. Jetzt mache ich alles alleine. Von Kochen über Putzen bis zum Anziehen, meine Frau kann nichts mehr ohne Hilfe machen. Sie ist wie ein Geist, der durchs Haus wandert. Mein Sohn und seine Frau greifen mir bei vielen Dingen unter die Arme und sind mir dadurch eine sehr große Hilfe.
Anfang des Jahres haben Sie sich entschlossen Unterstützung von der Nachbarschaftshilfe Kirchheim und vom Pflegestern in Anspruch zu nehmen. Wie kam es dazu?
Ohne Hilfe von außen würde ich das alles gar nicht mehr schaffen. Ich bin den Schritt gegangen, weil ich überfordert war. Mein Hausarzt hat mir dazu geraten und hat mich als Erster auf die Möglichkeit der ambulanten Pflege aufmerksam gemacht.
Wie ist die Lage jetzt für Sie, Herr Čok?
Für mich hat es sich auf jeden Fall verbessert. Waschen und Ankleiden meiner Frau in der Früh wird komplett von der Nachbarschaftshilfe übernommen – das schafft sie leider alleine nicht mehr. Seit nun etwa zwei Monaten ist sie auch dreimal die Woche von 9:00 bis 15:30 Uhr in der Tagespflege. Dort wird zusammen gebastelt, gekocht, gesungen –eine ganz tolle Sache ist das.
Rückblickend: Hätten Sie sich schon früher Hilfe geholt?
Ja, im Grunde genommen zögerte ich, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass es notwendig ist. Aber ich habe dann von Anfang an gemerkt, dass es die richtige Entscheidung war. Ich bekomme durch diese ausgezeichneten Einrichtungen große Hilfe und die Mitarbeiter sind eine wahre Bereicherung.
Mitte des Jahres 2015 häuften sich die als anfangs wahrgenommenen Lappalien von Karin Čok. Mal verwechselte sie Termine oder vergaß ein paar Dinge- nichts Auffälliges bisher. Doch bald vergaß sie immer wichtigere Dinge. Als Karin dann im Urlaub ihren Tisch im Restaurant nicht mehr findet und sich zu fremden Leuten dazusetzt nehmen die Auffälligkeiten Überhand. Im Juli des Jahres 2016 dann die Bestätigung vom Arzt: Karin Čok ist an Demenz erkrankt.
Vojnimir Čok lebt seit nunmehr 42 Jahren mit seiner Frau in Kirchheim. Die beiden sind seit 1971 verheiratet und haben einen Sohn, Andreas Čok. Die Krankheit seiner Ehefrau war für Herrn Čok ein großer Schlag, er lässt sich davon aber nicht unterkriegen.
Wie haben Ihre Frau und Sie auf die Diagnose reagiert?
Meine Frau registriert zwar, dass man etwas von ihr will, aber nicht genau was. Das fliegt irgendwie an ihr vorbei. Und mein Sohn und ich, wir wussten auch ohne ärztliche Diagnose, was Sache ist. Natürlich ist so eine Nachricht niederschmetternd und sehr belastend. Aber man muss das akzeptieren. Man muss das annehmen. Ich möchte mit meiner Frau zusammenbleiben, solange es geht.
Unterstützung erfahren Vojnimir Čok, sein Sohn Andreas und seine Schwiegertochter Anja auch durch gute Freunde und Nachbarn. Sie halten zur Familie und helfen, wenn einmal Not am Mann ist. Neben den unschönen Erscheinungen der Demenz, gab und gibt es aber auch glückliche Erlebnisse. So konnte das Ehepaar bis vor kurzem noch ihrer gemeinsamen Leidenschaft, dem Tanzen, nachgehen.
Barbara Fromm von der Nachbarschaftshilfe, die das Gespräch ebenso wie Andreas Čok begleitete, wirft ein:
„Es ist schön zu sehen, wie man Ihrer Frau eine Freude machen kann, Herr Čok. Sie hat immer noch sehr viel Humor. Sie freut sich über Kontakt, sie freut sich über Lob. Da strahlt sie. Sie ist ein unglaublich warmherziger Mensch und anderen sehr herzlich zugewandt.“
Herr Čok erzählt während des Gespräches von einigen Vorfällen mit seiner Frau. So musste er erst letztens einen ihrer Schuhe suchen, den er dann im Nachtkästchen fand.
Können Sie mir von Ihrem gegenwärtigen Leben mit Ihrer Frau erzählen?
Für meine Ehefrau verändert sich die Welt. Sie merkt selbst, dass vieles schief läuft, weiß aber nicht warum. Man kann sie gut erreichen und gut Kontakt mit ihr aufnehmen, wobei ihre Aufmerksamkeit dann nicht lange hält. Das ist viel zu anstrengend für sie.
Was mussten Sie lernen, wie Sie sich ihr gegenüber am besten verhalten?
Ich muss an mir arbeiten, dass ich noch geduldiger werde. Vieles klappt erst nach ein paar Anläufen, da wird meine Geduld schon manchmal auf die Probe gestellt. Außerdem ist eine Unterhaltung mit ihr nur noch auf einem geringen Niveau möglich. Einfache Bemerkungen und keine komplizierten Sätze, das funktioniert noch.
Haben Sie Tipps für den Umgang mit demenzerkrankten Patienten?
Viel Geduld! Das ist das wichtigste. Versuchen nie die Nerven zu verlieren. Offen darüber mit Freunden und Bekannten sprechen, etwas zu verbergen bringt nichts. Das ist auch der Grund für das Interview heute. Man muss sich wegen der Krankheit ja nicht schämen. Wenn die Mitmenschen wissen, was los ist, können sie auch entsprechend damit umgehen.
Nun ist solch eine Situation, in der Sie sich befinden, auch sehr belastend. Gibt es Momente in denen Sie das Gefühl haben, Sie schaffen das alles nicht?
Es gibt Momente, in denen zum Beispiel überhaupt nichts läuft, in denen meine Frau überhaupt nichts versteht. Egal auf welche Art ich versuche, ihr etwas mitzuteilen – es kommt nicht an. Und dann sage ich zu ihr: „Verflixt nochmal, was machst du.“ Später ärgert es mich dann auch selbst, dass ich so mit ihr rede.
Und was bringt Sie in solchen Momenten dazu, nicht aufzugeben, Herr Čok?
Wissen Sie, ich liebe meine Frau.
Herr Čok, vielen Dank für das Gespräch.